Sanierung des zukünftigen Dokumentationszentrums Prora
17.07.2023 • Bauprojekte im SBL Schwerin
Mit dem Erwerb der nördlichen Liegehalle, dem zugehörigen Kamm 7 und einem Teil des südlich anschließenden Bettenhauses des Blocks V durch das Land Mecklenburg-Vorpommern wurden im Jahr 2021 die Weichen für eine Sanierung und Herrichtung des zukünftigen Bildungs- und Dokumentationszentrums Prora gestellt. Für das Projekt ist das Staatliche Bau- und Liegenschaftsamt (SBL) Schwerin verantwortlich.
Prora liegt im Osten der Insel Rügen auf der "Schmalen Heide", einer ca. 10 km langen Nehrung, im Zentrum der Prorer Wiek. Der Ortsteil entstand aus dem im Auftrag der nationalsozialistischen Organisation "Kraft durch Freude" (KdF) geplanten und zwischen 1936 und 1939 ausschließlich im Rohbau fertiggestellten Seebad. Die geplante Gesamtanlage sollte sich über ca. 4,5 km entlang der Prorer Wieck erstrecken. Sie entstand nach den Entwürfen von Clemens Klotz aus dem Jahr 1936. Aktuell existieren von den ursprünglich acht baugleichen jeweils ca. 550 Meter langen sechsgeschossigen Blöcken noch fünf, die insgesamt eine Länge von ca. 2,5 km an der Prorer Wiek einnehmen. Drei Blöcke wurden zwischen 1945 und 1947 gesprengt. Die beiden nördlich des heutigen Blocks V gelegenen sind noch als Ruinen erhalten.
Bei dem untersuchten Gebäudeabschnitt handelt es sich um die nördliche Liegehalle einschließlich eines Teils des sich südlich anschließenden Bettenhauses sowie Kamm 7 im Block V, dem nördlichsten der noch vorhandenen Gebäudeblöcke. Auch dieser ist Bestandteil des Denkmalensembles und besteht aus sechs oberirdischen Geschossen. Die Liegehalle, ursprünglich als offener Baukörper geplant, stellt sich heute als geschlossener Baukörper dar und setzt sich seeseitig von den anschließenden Bettenhäusern durch einen Versprung von ca. zwei Metern ab. Die ca. 50 cm auskragenden Gesimse gliedern die Fassade horizontal.
Die Trauf- und Firstlinie der Liegehalle und Bettenhäuser verlaufen in einer Höhe. Landseitig erscheint die Liegehalle heute als flächige Fassade, ohne Gesimse und Gliederungen.
Die Trauf- und Firstlinie der Liegehalle und Bettenhäuser verlaufen in einer Höhe. Landseitig erscheint die Liegehalle heute als flächige Fassade, ohne Gesimse und Gliederungen.
Das südlich angrenzende Bettenhaus besteht ebenfalls aus sechs oberirdischen Geschossen. Landseitig treten das Erd- und 1. Obergeschoss um ca. 2,50 m hervor.
Verbindend zwischen beiden Bauteilen liegt landseitig der Kamm 7, der als Treppenhaus der vertikalen Erschließung dient.
Die Liegehalle weist durch die nachträglich eingebauten Innenwände die klare Struktur eines Kasernenbaus auf. Alle drei Gebäudeteile wurden in Massivbauweise errichtet. Die ursprüngliche Tragkonstruktion der Liegehalle wird durch eine Stahlbetonskelettbauweise definiert, bei der Teile später mit dem Nutzungsausbau durch Mauerwerk verschlossen wurden.
Dagegen wurden bauzeitlich das Bettenhaus und der Kamm als Mischkonstruktion aus Mauerwerk und Stahlbetonbauteilen errichtet.
Folgende Untersuchungen wurden für eine aussagefähige Bewertungsanalyse durchgeführt:
- Bestandsvermessung
- Restauratorische Untersuchungen
- Untersuchungen zur Bau- und Nutzungsgeschichte
- Untersuchungen zu Schäden am und im Gebäude
- Untersuchungen zu Schadstoffen
- Baugrunduntersuchungen
- Untersuchungen zur Bestandsstatik inkl. experimenteller Tragsicherheitsbewertung
- Untersuchungen zu Artenvorkommen
In der Gesamtanlage sollten insgesamt ca. 10.000 Gästezimmer untergebracht werden. Innerhalb eines Blockes existierten jeweils zwei Liegehallen in regelmäßigen Abständen zwischen den Bettenhäusern. Die Liegehallen waren mit offener Struktur angelegt. In ihnen sollte ein Aufenthalt zum einen in balkonartig offenen Bereichen auf der Seeseite und zum anderen bei schlechtem Wetter geschützt in verglasten Hallen mit Deckenheizung möglich sein. Die Anlage der Deckenheizung ist heute noch in den Ruinen sichtbar und konnte im Rahmen der Untersuchungen im betrachteten Gebäudeteil nachgewiesen werden.
Die Bauarbeiten des Gesamtkomplexes begannen im November 1936. Die Bauausführung fand an allen Blöcken zeitgleich, durch unterschiedliche Baufirmen statt. Der Block V wurde nachweislich durch die Baufirma HochTief errichtet. Mit Kriegsbeginn 1939 waren die Blöcke im Rohbau fertiggestellt und die Arbeiten wurden größtenteils eingestellt. Während des Krieges fanden nur Maßnahmen zur Sicherung statt, wie z. B. die Herstellung der Dachabdichtung.
Während des Krieges und bis November 1945 dienten Teile der Gesamtanlage der Unterbringung von Flüchtlingen. Im November 1945 ging die Anlage an die sowjetische Militärführung über. Bis auf Block V, der bis 1956 noch von der sowjetischen Armee genutzt wurde, übergab die sowjetische Militärführung 1951 die gesamte Anlage an die DDR. Block V wurde 1956 an die NVA übergeben. Von 1960 bis 1962 nutzte das Motorisierte-Schützenbataillon und von 1962 bis 1982 Fallschirmjägerbataillone den Block V. Von 1982 bis 1990 erfolgte die Nutzung durch die Bausoldaten (Pionierbataillon "Mukran"). 1990 wurde die Anlage der Bundeswehr übergeben, die 1992 die Nutzung einstellte. Ab 1993 war die Anlage öffentlich zugänglich.
Entsprechend den durchgeführten bauhistorischen Untersuchungen steht der betrachtete Gebäudeabschnitt seit 1991 ungenutzt leer. Die bauliche Struktur des Gebäudes mit den Einzelstuben in den Geschossen der Liegehalle und den gemeinschaftlichen sanitären Einrichtungen im Kamm 7 bildet die Nutzung des Gebäudes als Kaserne bis heute ab.
Die Ergebnisse der restauratorischen Untersuchungen bestätigen die Befunde der Bauforschung. Sie sind verschiedenen Zeitabschnitten zuzuordnen und fragmentarisch im gesamten Gebäude über die Geschosse verteilt, teilweise überlagern sich mehrere Zeitebenen. Es konnten fünf Bauphasen herausgestellt werden. Beim Durchschreiten des Gebäudes kann die Historie anhand der teilweise erhaltenen Wand- und Deckenfassungen, Tapeten, bildlichen Darstellungen und erhaltener Ausstattung wahrgenommen werden. Aufgrund der erhaltenen Befunde können Raumfunktionen zugeordnet und Wohn- und Lebensbedingungen während der Kasernennutzung nachvollzogen werden.
Bauphasen und Nutzung Komplex Prora
Bauphase 1 | bis 1939 | Erbauungszeit "KdF-Bad" |
---|---|---|
Bauphase 2 | 1945 bis 1956 | Nutzung Sowjetarmee |
Bauphase 3 | nach 1956 bis ca. 1982 | Erste Nutzungsphase NVA- Fallschirmspringer |
Bauphase 4 | ca. 1982 bis 1990 | Zweite Nutzungsphase NVA - Bausoldaten |
Bauphase 5 | nach 1990 | Leerstand |
Beachtenswert ist die Erkenntnis, dass jede Umbauphase mit einer kompletten Durchgestaltung des Gebäudes einhergeht.
Hervorzuheben ist vor allem die Gestaltung der Wandflächen der 2. Bauphase (Nutzung durch die Sowjetarmee). Die farbigen Anstriche mit Walzdekor im Treppenhaus oder im ehemaligen Speisesaal des 1. Obergeschosses stellen über das erwartete Maß hinaus erhaltenswerte Befunde dar. Der im Treppenhaus erkennbare Schriftzug: не курить! – nicht rauchen! - ist der Nutzung durch die Sowjetarmee eindeutig zuzuordnen. Zu jener Zeit wurde das Gebäude in seiner Großflächigkeit genutzt, da der Stubenausbau erst später erfolgte.
Mit der Bauphase 3 wurden Raumanlagen für die 1. Nutzungsphase NVA – Fallschirmjäger - für die Kasernennutzung im 2. bis 4. Obergeschoss errichtet, gleichzeitig befand sich der Speisesaal im 1. Obergeschoss und die Judohalle im 5. Obergeschoss. Mit der 2. Nutzungsphase NVA (Bauphase 4) erfolgte die Unterbringung der Bausoldaten in der nördlichen Liegehalle, was zur Aufgabe der Judohalle infolge zusätzlicher Einbauten in den Stuben im 5. Obergeschoss führte.
Die Offiziersbereiche und Amtsstuben wurden im 2. Obergeschoss eingerichtet und waren überwiegend mit Tapeten ausgestattet.
Im 1. Obergeschoss wurden nunmehr Unterrichtsräume geschaffen. Der Speisesaal wurde in einen anderen Blockabschnitt verlegt.
Mit der Nutzungsaufgabe nach 1990 (Bauphase 5) wurde das leerstehende Gebäude als offener Gestaltungsort vereinnahmt. Auch diese Zeitzeugnisse haben sich bis heute erhalten und stellen den Zeitgeist der Umbruchepoche dar.
Mit der zukünftigen Nutzung als Ausstellungsgebäude erfährt das Objekt eine Nutzungsänderung, die eine erhöhte Nutzlastanforderung als bisher bedingt. Zur Verifizierung des rechnerischen Nachweises der Plattenbalkendecken im Bereich der Liegehalle wurden Belastungsversuche im Sinne einer experimentellen Tragsicherheitsbewertung nach Richtlinie des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton durchgeführt. Diese sind Grundlage für die sich nun anschließenden Planungen.
Lageplan Block V Prora
18609 Binz, Strandstraße